1952: Eintrachtlerin Lotte Cadenbach holt Weltmeistertitel nach Dortmund
3. – 5. Oktober 1952: Erste Weltmeisterschaft in Dortmund
Lotte Cadenbach Weltmeisterin im Rollkunstlaufen
1952 war für den Dortmunder Sport ein großes Jahr: Ria Baran und Paul Falk wurden bei den Olympischen Winterspielen in Oslo Deutschlands erste Olympiasieger nach dem 2. Weltkrieg.
Kurz danach, Anfang Februar wurde die “neue” Westfalenhalle von Bundespräsident Prof. Theodor Heus feierlich eröffnet.
Die Franzosen Émile Lapebie und Guy Carrara läuteten mit ihrem Sieg im folgenden Sechstagerennen eine “goldene” Ära des Radsports ein. Der Juli bescherte den Boxkampf um die Schwergewichts-Europameisterschaft zwischen Lokalmatador Heinz Neuhaus und Hein ten Hoff in der “Roten Erde” vor 50.000 Besuchern.
Und – last but not least – fanden vom 3. – 5. Oktober 1952 in der Westfalenhalle die ersten Weltmeisterschaften der Sportgeschichte in Dortmund statt. Den Anlass dafür gab die Sportart Rollkunstlauf. Für das jahrelang geächtete Deutschland war es gleichzeitig die erste Weltmeisterschaft nach 1945.
Oberbürgermeister Fritz Henßler: ”Dortmund rechnet sich dieses sportliche Ereignis zur Ehre an und wird alles daran setzen, seinen Ruf als Hochburg deutschen Sports erneut zu beweisen.”
“Grazie und Charme wetteifern in der Westfalenhalle”. Mit diesen Worten machte die Presse Appetit auf das sporthistorische Ereignis. Die Resonanz war beachtlich. Rollkunstlauf als “Mutter” des Eiskunstlaufs genoss damals einen hohen sportlichen Stellenwert. Schon 1939 war die Westfalenhalle als WM-Stätte vorgesehen gewesen – der Kriegsbeginn Anfang September zerstörte alle Pläne.
Erster Weltmeister auf dem Westfalenhallenparkett wurde Freimut Stein aus Nürnberg. Er war Titelverteidiger und konnte mit seinem Dortmunder Erfolg das “Double” realisieren. Mit dem Deutschen Meisterpaar Sigrid Knake und Günter Koch aus Hannover reiften auch im Paarlaufen die Blütenträume des Deutschen Rollsportbundes. Dortmunds Farben vertraten hier Margit Lauer, 1938 gemeinsam mit Karl Waldeck Europameisterin, und ihr “neuer Partner” Willi Göntges. Nr. 1 der Tanzpaare wurden Marian Mercer und Edward Ellis aus England.
Den absoluten Höhepunkt der Veranstaltung aus lokaler Sicht bildete am Schlusstag die Damenkonkurrenz.
Lotte Cadenbach von Eintracht Dortmund, vor wenigen Wochen nationale Meisterin geworden, hatte sich mit 16 Konkurrentinnen aus Belgien, England, Frankreich, Italien, Spanien, der Schweiz und Deutschland auseinander zu setzen. Darunter auch Irma Fischlein, die Weltmeisterin von London 1951.
Lotte Cadenbach war eine perfekte Repräsentantin des “deutschen Stils“. Damit meinten die Fachleute das mühelose, elegante Laufen, bei dem die aneinander gereihten Figuren durch flüssige Übergänge miteinander verbunden wurden.
Vor 5.000 begeisterten Zuschauern ließ die Eintrachtlerin in ihrer Konkurrenz nichts anbrennen. Nach der morgendlichen Pflicht präsentierte sie eine sehr sichere, mit sportlichen Schwierigkeiten gespickte Kür, die in Inhalt und Ausführung exzellent bewertet wurde. Da blieb auch Titelverteidigerin Irma Fischlein nur der ehrenvolle zweite Platz.
Dortmund war überglücklich: Die erste in der Westfalenhalle ausgetragene Weltmeisterschaft überhaupt endete mit einem Welttitel für eine Dortmunder Teilnehmerin.
Stolze Eintracht!!
Eintracht Dortmund würdigte die frischgebackene Weltmeisterin mit den Worten:
„Die Eintracht feiert einen stolzen Erfolg! Zum ersten Mal in ihrer 100 jährigen Geschichte erringt ein Mitglied unseres Vereins den Titel einer Weltmeisterin. Unsere Lotte Cadenbach, die mehrfache deutsche Meisterin, hat es geschafft. Intensives Training und hohe Begabung brachten sie an die Spitze der Rollkunstläuferinnen der Welt. Ihr großes Können stellte sie in der Westfalenhalle unter Beweis. Der Titel einer Weltmeisterin war ihr nicht zu nehmen. Sie siegte vor ihrer großen Rivalin, Irma Fischlein, Frankfurt, die Zweite wurde. Nachdem das Ergebnis feststand, brach in der Westfalenhalle lang anhaltender Jubel aus und es gab strahlende Augen. Auch unser Verein nimmt Anteil an diesem Jubel und ist hocherfreut. Einen weiteren großen Erfolg hatten unsere Mitglieder Lauer/Gönges, die sich mit ausgezeichneten Leistungen den 3. Platz im Paarlaufen erkämpfen konnten.
Mit unseren herzlichen Glückwünschen verbinden wir unseren Dank an die glücklichen Sieger und Siegerinnen. Wieder einmal flattern die Fahnen unseres Vereins ruhmreich im Winde.“
Lotte Cadenbach errang fünf deutsche Titel und nach der Weltmeisterschaft 1952 wurde sie 1954 auch Europameisterin in ihrer Paradedisziplin. Damit ist sie die erfolgreichste Sportlerin der gesamten Eintracht-Historie und darüber hinaus eine der herausragenden ganz Nordrhein-Westfalens. 1955 wurde ihr das „Silberne Lorbeerblatt“ verliehen, die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik für Sportler*innen.
Nach ihrer großartigen aktiven Karriere wurde die „ideale Repräsentantin des deutschen Stils im Rollkunstlaufen“ Trainerin und schulte mit großem Erfolg viele Läufer*innen, zunächst in Deutschland, dann aber vornehmlich in Mosambik im fernen Afrika, wo sie auch ihren Ehemann kennenlernte. Nach der Hochzeit nannte sie sich Cadenbach-Robeiro. Auch in Südafrika, Simbabwe und Angola war sie bis 1976 tätig. Ihre Wahlheimat war anschließend bis zu ihrem Tod 2021 Neckarweihingen bei Ludwigsburg. Hier wirkte sie mit großem Engagement bis 1998.
In einem Gespräch erzählte sie mir einmal, dass sie sich in Gedanken immer mit ihrer Heimatstadt Dortmund verbunden fühle. Das ginge so weit, dass sie sich Spiele „ihres BVB“ nur mit BVB-Schal und -Trikot anschaue.
Lotte Cadenbach ist 2021 im gesegneten Alter von 93 Jahren gestorben.
Zum Schluss eine persönliche Anmerkung:
Gemeinsam mit dem großen Max Michallek vom BVB war Lotte Cadenbach „das“ Idol meiner Kindheit. Wir Kinder aus der Staufenstraße nahmen gern den langen Fußmarsch bis zum Hoeschpark im Dortmunder Norden in Kauf, um sie (gemeinsam mit zahlreichen anderen „Verehrern“) beim Training auf der dortigen Rollschuhbahn zu beobachten. Sie bestach durch Ausstrahlung und Schönheit, gepaart mit natürlicher Anmut. Und natürlich durch ihre große Klasse auf den Rollschuhen. Es war schlichtweg ein Genuss, sie laufen zu sehen.
Autor: Gerd Kolbe