Wir von damals: Willi Daume – Mann des Neubeginns 1945 – 1953
23. Mai 2023 TSC Redaktion175 Jahre TSC Eintracht Unser Jubiläum des Jahres 2023 lebt mit Erinnerungen. Eine der führenden Persönlichkeiten des TSC Eintracht nach dem zweiten Weltkrieg war Willi Daume, Vorsitzender von 1945 – 53. Am 24. Mai 1913 geboren, denken wir in diesen Tagen an seinen 110ten Geburtstag. Schon mit 8 Jahren wurde er Mitglied der „Eintrachtfamilie“, wie es damals und in den Nachkriegsjahren hieß. Über seine sportlichen Aktivitäten bis zur Olympiateilnahme 1936 im Basketball als „gelernter Handballer“ bei der Eintracht wurde schon berichtet (TEAM 2014, Willi Daume – Ein Olympionike reinsten Wassers). Seine Erfolge in zahlreichen Ämtern und Funktionen wurden prägend für die Entwicklung des (west)deutschen Sports, insbesondere für dessen Repräsentation bei den olympischen Spielen 1972.
Nun soll allein seine Rolle als Mann des Neuanfangs 1945 beim heutigen TSC Eintracht gewürdigt werden.
Hintergrund der folgenden Ereignisse ist die Zerstörung Deutschlands zum Kriegsende. Millionen von Toten, von Verschollenen, von Gesuchten, von Flüchtlingen beschäftigen die Menschen. Die städtischen Verwaltungen, Krankenhäuser, Schulen, Straßen, Verkehrsmittel, Wohnungen, einfach alles was zum Funktionieren einer Gesellschaft gehört, musste neu organisiert und aufgebaut werden. Und genau in dieser Zeit des Suchens nach Neuanfang wiederbelebt Willi Daume mit einigen Mitstreitern seinen ehemaligen Sportverein. Eigentlich haben die Dortmunder mit ihren alltäglichen Sorgen zu tun, er aber erhebt seine Stimme für die Neuentwicklung seines Turn- und Sportvereins.
Daume nahm unmittelbar nach Kriegsende als einer der ersten Dortmunder Sportler Kontakt auf zu den britischen Militärbehörden. Schon Ende Mai/Anfang Juni 1945 sprach er gemeinsam mit einem Vertreter aus dem Stadtausschuss für Leibesübungen – trotz des Fraternisierungsverbots – die Wiederzulassung von Sportvereinen und die Bereitstellung von Hallen, Plätzen und Bekleidung an (Rode 2010, S. 55). Bald wurde er als kommissarischer Leiter für den Handballbereich eingesetzt.
Dank seiner „gewandten“ Art und seiner Netzwerkerfahrungen verfügte er – als Dortmunder Unternehmer – über einen „heißen Draht“ zu den Engländern. So kam es, dass der für den Sport zuständige britische Major Wilson ihm persönlich die Genehmigung zur Neugründung von Eintracht Dortmund erteilte. Der Aufbau der Sportverwaltung in der Stadt hatte im Juli 1945 begonnen. Schließlich wurde Willi Daume am 04. November 1945 bei der offiziellen Neukonstituierung des TV Eintracht 1848 Dortmund zum Vorsitzenden gewählt. Major Wilson ließ sich informieren über den Verein, der durch Fusionen mit kleineren Vereinen (z. B. Schwimmverein Westfalen, Ruderclub Hansa) zum größten westdeutschen Verein geworden war (Rode 2010, S. 55/56). Bald darauf begann Daume überregional bei der Gründung des Zonensportrates aktiv mitzuarbeiten.
Seine überaus erfolgreiche Karriere als Sportfunktionär im westlichen Nachkriegsdeutschland begann.
Ungeachtet dessen, wir blicken hier auf die Aktivitäten für seinen Verein Eintracht Dortmund. Biographische Texte betonen, dass Daume schon damals als eine Art „Markenzeichen“ seiner Person eine Kunst- und Kulturorientierung des Sports betonte, insbesondere seiner/unserer Eintracht. So verband er – gegenüber der Stadt – den Wiederaufbau der kriegszerstörten Vereinsanlagen an der Eintrachtstraße (heute Parkplatz Continentale Ruhrallee) mit dem Anliegen, die Vereinshalle gleichzeitig als repräsentativen Musiksaal der Stadt Dortmund zu nutzen.
Nach dem Geleitwort von Willi Daume wird in den neu erschienenen Eintracht-Mitteilungen (1-47, jedes Heft mit Daume-Unternehmens-Werbung ) mitgeteilt, die Abteilung Kunst und Kultur sei 1947 wiederbelebt worden. „Wir wollen weder dem Stadttheater den Rang ablaufen, noch eigene Sinfoniekonzerte veranstalten. Wir wollen uns am geschriebenen und gesprochenen Wort erfreuen, fröhlich sein und Frohsinn schenken….Ganz recht, liebe Spötter, wir wollen nicht so dumm sterben, wie wir sind!“
Auf diesem Hintergrund ist die Übereinkunft mit dem Musikverein zu sehen, verbunden mit der Hoffnung als Gegenleistung der Stadt „großzügige Hilfe beim Aufbau“ zu erhalten. „Fürwahr, eine beispielhafte Gemeinsamkeit von Körperkultur und musischem Geist“. In Anbetracht von 57 – inzwischen beseitigten – Bombentrichtern auf dem Gelände will man die Mitglieder des Vereins zur Mithilfe beim Wiederaufbau aktivieren.
Bald darauf schreibt Daume in den Eintracht-Mitteilungen „Eine ernste Mahnung“ (6 – 47): Bei der nach „Tausenden zählenden Mitgliederzahl kämen nur wenige Getreue regelmäßig zum Schüppen. Nur eine kleine Schar unserer Mädel schwingt Dienstags und Freitags den Pickhammer. Wir müssen im Herbst wieder unseren eigenen Platz haben.“ Der für den Wiederaufbau besonders aktive Karl Bartels formuliert einen Anreiz dieser Zeit (2/3-47): „Allen, die körperlich mitarbeiten, wird am Schluss der Arbeitszeit ein Schlag Suppe versprochen, verbrauchte Kalorien zu ersetzen. Die körperlich nicht in der Lage sind, sollen wenigstens mit Spenden, die der Größe der Aufgabe entsprechen, helfen.“
Über die Kriegs-Zerstörung des Eintrachthauses wurde schon im September 1944 in der damaligen Eintracht-Zeitung berichtet, z. B. dass der verbrannte Parkettboden entfernt und nun auf dem „gewachsenen Boden“ geturnt werde. Man habe Turngeräte aus einer anderen zerstörten Turnhalle bekommen. Mit Bedauern wird aber festgestellt, dass ein „gemeiner Mensch“ das Leder von einem Bock geschnitten habe. Wer in den nächsten Tagen eine schriftliche oder mündliche Aufforderung zur Mitarbeit bekomme, der suche nicht nach Ausflüchten, sondern gehe freudig an die Arbeit. Soweit zum Hintergrund der Aufrufe im Jahr 1947.
Am 28. Juli 1949 fand die Grundsteinlegung für die erste Bauphase statt. Der kleine Turnsaal mit Bühne sowie der Fechtsaal im ersten Geschoss und Wohnraum „für den Wirt und Turnlehrer“ wurden in Angriff genommen. Geplant war ein repräsentatives Gebäude, wie die Eintracht-Mitteilungen (4-49) darstellen.
Die Einweihung des ersten Bauabschnittes mit „Enthüllung der Toyka-Büste“ fand am 21. Januar 1950 statt. Daume verlas die „kostbar ausgeführte“ Urkunde, in der Toyka 1917 zum Ehrenvorsitzenden der Eintracht ernannt wurde und übergab diese seiner Witwe. Gleichzeitig wurde der „unermüdliche Baumeister am neuen Werk, der helle und wache Geist, Tk. Karl Bartels“, zum jüngsten Ehrenmitglied des Vereins ernannt.
Noch eine Reminiszenz zu diesem ausführlichen „Weihetag“ im Januar 1950: Daume sprach vor den 600 Anwesenden nach dem gemeinsamen Lied „Brüder reicht die Hand zum Bunde“ die Weiherede nach dem Motto „Es lobt den Mann die Arbeit und die Tat“. Daume war gemäß Zeitgeist ein hochgeschätzter Redner, galt als ein Meister des Verarbeitens von Zitaten.
Die Baukosten werden zu diesem Zeitpunkt mit 175.000 DM ausgewiesen. Auf der vorhergehenden Jahreshauptversammlung Anfang 1949 war von Daume festgestellt worden, dass die Stadt den Neubau nicht unterstützen wird und dass die Geldbestände beschränkt seien. Der erwähnte Leiter des Bauausschusses, Bartels, betonte daraufhin, dass sich die jetzigen Bemühungen des Turnrates wieder auf dem Boden der Wirklichkeit bewegen würden (2 – 49). Nicht zu vergessen bei diesem Bauvorhaben: Die Pläne waren fertig, aber die Währungsreform im Juni 1948 hatte die Finanzsituation des Vereins drastisch verändert und es dauerte Monate, bis die „nach der Währungsreform entstandene Schuldenlast von 8.000 DM verringert werden konnte“ (1-49).
Zu dieser Zeit wurde selbstverständliche auch Sport in den Abteilungen betrieben. Für die Jahre 1950-52 werden 12 – 15 Abteilungen genannt mit insgesamt 1700 bis 2000 Mitgliedern. Zum Beispiel berichtet die Kanu-Abteilung über das Anpaddeln im April 1949 (4 – 49). Der 1. Vorsitzende Willi Daume habe die Vereidigung der Rennfahrer vorgenommen, „habe sie auf die Vorschriften aufmerksam gemacht und legte ihnen ans Herz, diese auszuführen…Zuletzt taufte er den neuen Rennzweier auf den Namen „Einigkeit“. Anbei auch die Modellansicht des Klubhauses der Tennisabteilung, die im April 1952 vorgestellt wurde.
Das Richtfest des 2. Bauabschnittes wird am 30. September 1951 begangen, anlässlich der Übergabe der großen Eintrachthalle. Der Tag wird als historischer Augenblick “ in den Annalen unserer 100jährigen Eintracht festgehalten“, weil die Bauausführung des Gesamtbaus nunmehr fast bewältigt ist (9-51). Eine Zwischenbilanz zum Bau betonte, dass „durch die Initiative unseres 1. Vorsitzenden, Tk. Daume, schon so viel erreicht ist, was wir vor Jahr und Tag nicht zu hoffen wagten“. Aber es wird zu dieser Zeit (9 – 51) auch erkennbar, „ohne den unermüdlichen Einsatz unseres Turnbruders Karl Bartels, Geschäftsführender Vorsitzender und Vorsitzender des Bauausschusses, könnten wir einpacken. …Möge ihm das große Werk gelingen im Verein mit unserem 1. Vorsitzenden Tk Willi Daume, so wie es die Pläne vorsehen.“
Um was geht es bei diesen Lobesworten (10-51)? Ein „Riesenraum, in seinen Abmessungen 50 x20 m (+ 15 m Bühnentiefe), wohl die größte vereinseigene Halle ihrer Art im ganzen Bundesgebiet.“ Dazu gehört noch ein kleiner Saal mit einer Fläche 20 x 12 m. Später sollte eine „gewaltige Bühne“ hinzukommen, auf der 250 Menschen für Chöre und Orchester unterzubringen seien. Daume kündigt in seiner Rede an, dass mit allen Mitteln das Eintrachthaus in absehbarer Zeit vollendet werden wird, man sei jetzt „nur mitten in der Arbeit“. Er betont, „dass wir neben der Pflege der Leibesübung auch unsere Kulturgüter nicht vergessen, dass wir uns allerdings keinen falschen Ideologien hingeben, wie unser östlicher Nachbar…“. Er schließt ab mit den Worten: „Die Jugend soll in diesem Hause immer fröhlich sein“. Mit dem Blick auf seine spätere Karriere als Sportfunktionär wird schon 1951 deutlich, dass Daume seinen Vorsitz unseres Vereins mit gesellschaftlichem Weitblick ausfüllte.
Als Kosten werden zu diesem Bauabschnitt 245.000 DM aufgelistet. Zahlreiche Unterstützer und Helfer werden genannt. Ein besonderer Dank wird an den 1. Vorsitzenden, Tk. Daume, gerichtet als Inspirator des Wiederaufbaus, der „seine weitgehenden Beziehungen für die Durchführung der Finanzierung eingesetzt hat“ (1-53).
Bemerkenswert für eine neue Rolle von Willi Daume im damaligen TUS Eintracht ist die Berichterstattung zum Bundesturntag des Westfälischen Turnerbundes am 27. April 1952, organisiert von der Eintracht. Es wird berichtet von 600 Delegierten im neu errichteten Goldsaal der Westfalenhallen, vom festlichen Rahmen mit Orgelmusik und von den Ehrengästen, insbesondere vom Präsidenten des Deutschen Sportbundes, Tk. Daume. Als Organisator wird nun der geschäftsführende 1. Vorsitzende, Karl Bartels, hervorgehoben. Dahinter verbirgt sich die Vereinbarung im Turnrat 1952 – dem damaligen Führungsgremium des Vereins – Daume als 1. Vorsitzenden und Bartels als geschäftsführenden 1. Vorsitzenden anzusehen.
Die überregionale Sportfunktionärs-Karriere von Willi Daume hatte schon am 10.12.1950 in Hannover begonnen. Die Vertreter der Fachverbände hatten ihn auf der Gründungsversammlung ihrer Dachorganisation zum ersten Präsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes (DSB) gewählt. Die Presse soll sich begeistert über Daume geäußert haben. Er bringe alles mit, was einen guten Sportpräsidenten auszeichnet: „Diplomatisches Geschick, Selbstlosigkeit wie ein Amateursportler, Eleganz, Popularität und ein Gefühl für das Erreichbare“ (Rode, S. 78). Ein Hintergrund für diese Entwicklung war seine vorherige Wahl zum ersten Präsidenten des Deutschen Handballbundes (DHB) am 01.10.1949 in Mülheim/Ruhr. (siehe Willi-Daume-Haus des DHJB in der Strobelallee).
Seine Rolle im Dortmunder Heimatverein hatte sich angesichts dieser Entwicklungen verändert. Er wird auf der Hauptversammlung 1953 zum Ehrenmitglied ernannt (2 – 53). „Nicht als erster Präsident des DSB vergeben wir diese hohe Auszeichnung, sondern nur in Anerkennung seiner außergewöhnlichen Verdienste um unseren Verein. Wiederum fügt sich ein Ruhmesblatt in die Geschichte der 100-jährigen Eintracht, auf dem der Name Willi Daume mit leuchtenden Lettern steht.“ Er selbst formuliert bei dieser Veranstaltung: „…wohl kein Verein der Bundesrepublik hat, aufbaumäßig gesehen, soviel geleistet hat, wie unsere Eintracht.“
Wenn wir heute auf unsere 175-jährige Eintracht-Geschichte blicken, dann denken wir mit Dank und Anerkennung an Willi Daume, unseren Mann des Wiederaufbaus der Eintracht nach dem zweiten Weltkrieg. Das Tragische an dieser Geschichte, das Aufbauwerk seiner Generation ist heute nicht mehr sichtbar an der Eintrachtstraße. Wenige Hundert Meter entfernt bewegen wir uns in den neuen und großzügigen Anlagen an der Victor-Toyka-Straße.
Einige Funktionen von Willi Daume für den deutschen Sport:
- Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB, 1949 – 55)
- Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB, 1950 – 70)
- Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (IOC, 1956 – 91)
- Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC, 1956 – 91)
- Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft (1979 – 88)
Autor: Andreas Seeber