„Alle sollten das Recht haben, ein Leben ohne Auto führen zu können“

Mit 88 Prozent macht die Mobilität unserer Mitglieder den größten Anteil unseres CO2-Ausstoßes aus. Über 70 Prozent der TSC-Sportlerinnen und -Sportler fahren mit dem Auto zur Eintracht, obwohl das Sportzentrum an eine U-Bahn-Haltestelle, einen Bahnhof und eine Bushaltestelle angeschlossen ist. Zudem sollten die meisten Mitglieder sportlich genug für eine Anreise mit dem Fahrrad sein. Warum sich Menschen so abhängig vom Auto machen, welche Probleme daraus resultieren und wie eine Mobilität von morgen aussehen kann, haben wir die Mobilitätsexpertin und Autorin Katja Diehl gefragt.

Katja, wie kam es dazu, dass die Straßen so voll geworden sind?

Es ist nicht von jetzt auf gleich wie eine Naturkatastrophe passiert, sondern war ein schleichender Prozess. Die Grundlagen wurden im zweiten Weltkrieg gelegt, in dem schon viele Autobahnen gebaut wurden, obwohl es noch kaum Autos im Privatbesitz gab. Bis Anfang der 60er Jahre spielte das Auto noch keine Rolle, weil es viel zu teuer war. Sogar die Leute, die Autos gebaut haben, sind lange Zeit mit dem Rad oder mit Mopeds zur Arbeit gefahren. In dieser Zeit waren 60 Prozent aller Wege noch zu Fuß zurückzulegen. Danach trat die Todesspirale, wie ich sie nenne, ein. Das Auto wurde als Wirtschaftswunder bezeichnet. Wenn du einen gut bezahlten Job hattest und dir das Auto leisten konntest, warst du angekommen und man konnte daran ablesen, dass du Erfolg hattest.

Was ist daran problematisch?
Im ländlichen Raum wurde die gesunde Infrastruktur zerstört und Bäcker, Supermärkte und Fleischereien sind großen Supermarktketten außerhalb des Ortskerns zum Opfer gefallen. Schulen wurden zusammengelegt und auch der Arbeitsplatz entfernt sich immer weiter vom Wohnort. Statistiken zeigen, dass wir seit der Steinzeit drei bis vier Wege zurücklegen und sich daran bis heute nichts geändert hat. Nur die Strecken werden weiter. Wir haben vom Anfang des Autos nicht darauf geachtet, was die Menschen machen, die nicht Auto fahren können oder wollen. Wir haben ausgeblendet, was das alles zerstört und ausgeblendet, dass alle Kosten externalisiert werden. Viele Menschen kaufen ein
Auto auf Pump und es ist häufig nach dem Eigenheim die zweitgrößte Anschaffung im Leben, die nicht selten Schulden verursacht. Jetzt schauen wir ehrlicherweise auch nur so genau auf das Auto wegen der Klimakrise. Da macht nämlich im Transportsektor 61 Prozent aller CO2-Emissionen der private PKW aus – mehr als LKW-Verkehr, große Schiffe und Flugzeuge. Versiegelte Flächen in den Städten, auf denen das Wasser nicht natürlich abläuft und keine Kühlfunktion übernimmt, kommen vom Auto. Der Stress, den eine Stadt hat, kommt vom Auto.


Das Auto wird häufig als Freiheit angesehen, der Fokus in unserer Mobilität darauf schließt aber viele Menschen aus. Ist das nicht ungerecht?

Das System ist jetzt kaputt, weil es Menschen vom Auto abhängig macht, die Bequemlichkeit mit dem Auto fördert und Automobilität einfach nicht gesund ist. 13 Millionen Erwachsene haben keinen Führerschein und 13 Millionen Kinder sind noch zu jung für einen. Eine große Gruppe kann dadurch schon gar nicht mit dem Auto kommen, zumindest nicht selbstbestimmt. Und wer den nachhaltigeren Bus nimmt, steht im Stau der Autos – das ist für mich ein Symbolbild für das, was in unserer Mobilität schiefläuft. Jeder und jede in Deutschland sollte das Recht haben, ein Leben ohne Auto führen zu können. Das ist vor allem im ländlichen Raum nicht gegeben, was bedeutet, dass 13 Millionen Erwachsene dort nicht leben können, weil es dort nur mit dem Auto geht. Ich möchte raus aus der Abhängigkeit, rein in die Ehrlichkeit, dass wir das Auto zu einer Mobilitätsform gemacht haben, die privilegiert ist und alle anderen
Formen nachrangig gemacht hat. Ich möchte auch, dass die Leute, die schon ohne Auto leben, nicht durch Lärm oder Raumentzug belastet werden.

Wie sieht aus Deiner Sicht die Mobilität von Morgen aus? Was erschwert aus Deiner Sicht eine (zeitnahe) Umsetzung?
Ich möchte, dass Kinder selbstbestimmt unterwegs sind in ihrer Stadt. Dass sie mit ihren Laufrädern einfach fahren können und dass sie sicher und eigenständig mit dem Fahrrad oder Roller zur Schule fahren können. Die Elternshuttle kann man kritisieren, aber sie kommen aus der Unsicherheit heraus. Mittlerweile sind auch bedingt dadurch nur noch 45 Prozent der Kinder täglich draußen. Die Privilegien des Autos erschweren eine andere Mobilität, das sind zum Beispiel das Dienstwagenprivileg oder Dieselprivileg. 60 Prozent der zugelassenen Autos sind mittlerweile Dienstwagen. Ich möchte nicht die Dienstagwagen angreifen, wo der Außendienstmitarbeiter seine Kunden besucht, sondern die Boni sind das Problem, wo die Autos immer dicker werden. Die Pendlerpauschale ist auch ein Anreiz, dass Menschen größere Distanzen in Kauf nehmen, um zu pendeln. Da müssen wir überall ran.

Viele Eltern bringen ihre Kinder auch zum Training, weil sie es nicht schaffen, mehrere Kinder ohne Auto zu verschiedenen Aktivitäten zu fahren. Gibt es dafür Alternativen?
Naja, wir haben durch das Auto keine Zeit gewonnen, wir verlieren sogar Zeit im Vergleich zu den anderen Mobilitätsformen, die wir vorher genutzt haben. Durch das Auto haben wir andere Hobbys, die nur noch aufwendig zu verknüpfen sind. Heute ist es nicht mehr legitim, den Sportverein um die Ecke zu nehmen, wenn der andere ein besseres Angebot hat. Ich möchte das nicht kritisieren, aber das sind Effekte, die durch das Auto kommen. Eltern ohne Auto stellen sich nicht die Frage, sondern schauen, welche Schule oder welcher Verein um die Ecke ist. Menschen ohne Auto ziehen dorthin, wo sie eine Anbindung an den ÖPNV haben.

 

Verkehrsmittel, mit denen TSC Mitglieder im Dezember 2021 zum Sportzentrum gekommen sind.

Der TSC Eintracht ist schon gut an den ÖPNV angebunden und liegt sehr zentral. Was muss passieren, damit mehr Mitglieder ohne Auto kommen?
Ja, es kann nicht sein, dass niemand eine Alternative hat. Das Auto in Deutschland fährt nur 45 Minuten am Tag mit meistens einer Person. Die Statistik entsteht nicht durch die Eltern, die vier Kinder im Auto haben und sie zum Sport bringen. Diese verhalten sich richtig. Auch die, die von weiter weg kommen und Fahrgemeinschaften bilden, verhalten sich richtig. Alle anderen sollten sich ehrlich hinterfragen: »Nehme ich das Auto, weil es bequem ist, weil ich keinen Bock auf Fahrradfahren habe oder weil es wirklich alternativlos ist?«.

Dann kommt oft das Argument, danach noch mit dem Auto einkaufen zu müssen. Was setzt du bei solchen Argumenten dagegen?
Ich habe aufgegeben, da zu appellieren, denn man greift in den intimsten Bereich der Selbstbestimmung ein. Ich habe vor kurzem einen Vortrag beim Alpenverein gehalten und da kam die Diskussion auf, ob man die Parkplätze reduzieren sollte. Wenn man einmal ermittelt, wie viele wirklich einen Parkplatz benötigen, dann könnte man durch Verknappung und die Unsicherheit, einen Parkplatz zu bekommen, eine Irritation schaffen, die zum Nachdenken anregt. Es wird in jedem Fall für einen Aufschrei sorgen, wie es immer für einen Aufschrei sorgt, wenn man an Parkplätze ran geht.

Das Problem wird politisch (noch) nirgendwo thematisiert, wobei das Mobilitätsaufkommen im Breitensport sehr hoch sein wird. Wo können wir ansetzen?
Die Menschen ohne Auto müssen in die Debattenräume mitgenommen werden und an den Diskussionen teilnehmen. Auch Familien mit vielen Kindern müssen dort mitsprechen. Genauso sollten die Kinder gefragt werden, ob sie Ideen haben, wie sie zu ihren Hobbys alleine kommen könnten.

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